"Cinderellio": Weshalb das Märchen queer und tierfreundlich wurde

05.09.2024

Mit der Veröffentlichung von Cinderellio erfüllte ich mir im Frühjahr 2024 den Wunsch nach einer eigenen Interpretation des bekannten Märchens. Nun möchte ich näher darauf eingehen, weshalb es für mich nicht nur eine Selbstverständlichkeit war, ein queeres Märchen zu schreiben und welche Figur sich erstmals frutarisch ernährte, sondern auch, aus welchem Grund ich tierfreundliche Änderungen bei der Kürbiskutsche durchführte. Los geht´s!

Vorweg: Wenn Du Cinderellio noch nicht gelesen hast, solltest Du nicht weiterlesen, da ich in diesem Beitrag näher auf die Handlung eingehe.

Ein Wunsch bleibt (erst mal) ein Wunsch...

Schon lange hegte ich den Wunsch nach einer eigenen Version meines Lieblingsmärchens Cinderella. Dieser Wunsch reifte schon in meiner Jugend, als ich noch gar nicht als Autor tätig war, in mir heran. In meinen frühen Zwanzigern, als ich tatsächlich freiberuflich schrieb, wurde der Wunsch realistischer, auch wenn ich mich von Anfang an auf gegenteilige Geschichten spezialisiert hatte. Zwar stellte ich 2015 mit Schokosucht auch mein humoriges Potential unter Beweis, allerdings fühlte ich mich bei den düsteren Geschichten wesentlich mehr Zuhause, als bei leichten, schönen oder gar traumhaften Geschichten. Jedoch behielt ich stets den Wunsch nach einer Cinderella - Version mit einem männlichen Aschenputtel, welches sich auf einem Ball in den Prinzen verliebt, im Hinterkopf. Buch um Buch entstand und mit der Zeit probierte ich auch andere Genres aus. So veröffentlichte ich 2020 mit Ehrliche Reue eine dramatische und 2022 mit Unforeseen Effects eine Science Fiction - Geschichte. Heute bin ich davon überzeugt, dass erst diese Bücher den Grundstein für mein Märchen legten, denn mit jedem neuen Genre wurde mein Wunsch danach greifbarer. Doch es sollte bis Mai 2023 dauern, bis ich nach fast neunjähriger freiberuflicher Autorentätigkeit endlich das Projekt anging und die Rohfassung von Cinderellio schrieb. Aber warum wurde aus Ella Ellio?

Der Wunsch nach Repräsentation

In meiner Buchvorstellung verriet ich bereits, dass mich das klassische Märchen seit drei Jahrzehnten begleitet und ich dutzende Versionen davon als Film gesehen und als Buch gelesen habe. Schon als Kind stellte ich mich selbst als Cinderella vor, schließlich wuchs ich unter ähnlichen Bedingungen auf und erkannte auch sonst mehrere Parallelen zu meinem eigenen Leben, meinen Ansichten und meinen Wünschen. Weil es zu dieser Zeit keine queere Cinderella - Version gab, wurde ich also in meiner Fantasie zu einer männlichen Variante der Titelfigur, die Zuhause schikaniert wurde, von Wundern träumte und auf ihren Traumprinz wartete. 2014, als ich mit dem Schreiben begonnen hatte, wollte ich den Buchmarkt mit seinen damaligen rar gesäten gleichgeschlechtlichen Inhalten verändern, indem ich das schrieb, was ich selbst gerne las und in meiner Jugend gerne gelesen hätte. So legte ich schon mit meinem Debütroman Cryptal City - Vier Jugendliche gegen eine Stadt die Grundpfeiler meiner (zukünftigen und nicht geplanten) Bücher fest: meist gleichgeschlechtliche Figuren, die sich möglichst tierleidfrei ernähren und sich widrigen Situationen ausgesetzt sehen.

Aus diesem Grund war es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass Cinderellio ein queeres Märchen wurde, denn eine bloße Nacherzählung des klassischen Stoffes wollte ich auf keinen Fall. Vielmehr sollte es jenes Buch werden, dass ich als Kind selbst gerne gelesen hätte und dass ältere Kinder in ähnlichen Gefühlswelten wie ich damals und auch Erwachsene heute gerne lesen würden. Natürlich hätte ich es bei Ella belassen und dann aus dem Prinzen eine Prinzessin machen können, aber ich wollte ja jenes Märchen schreiben, indem ich mich früher selbst in der Rolle gesehen hatte.

(K)Eine Frage der Selbstverständlichkeit

Der nächste Punkt war das Geschlecht von Ellio´s Stiefgeschwistern. In den allermeisten anderen Versionen muss Cinderella mit zwei weiblichen Geschwistern zurechtkommen, die später mit ihr in den Konkurrenzkampf treten, um erst die Gunst und dann das Herz des Prinzen zu erobern. In dem klassischen Hetero - Stoff geht das auch nicht anders, daher legte ich mich kurz vor dem Schreiben auf zwei männliche Geschwister fest, die meine Hauptfigur schikanieren und auf dem Ball ausstechen wollen. Da Homo - und Bisexualität in meinen schriftstellerischen Welten selbstverständlich ist und keine Figur ihr Gegenüber bei entsprechender Anziehungskraft erst nach dessen Sexualität befragen muss, war es auch bei Cinderellio nur natürlich, dies ebenfalls nicht zu tun.

Deshalb war es mir ein Bedürfnis, die Sexualität der einzelnen Figuren nicht infrage zu stellen und sie vor allem auch nicht von Catty - der bösen Stiefmutter - oder gar Jealousy und Dispute - den Stiefbrüdern - gegen meine Hauptfigur zu verwenden. In vielen meiner anderen Geschichten steckt nämlich meist eine offene oder versteckte Homophobie. In Cinderellio sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, weswegen der König in seiner Einladung eben von "allen ungebundenen Männern" spricht und Ellio´s Stiefbrüder, sich (aus anderen Motiven) an den Prinzen ranmachen wollen. Die Stiefmutter zeichnete ich also nicht homophob, sondern missgünstig Ellio als Menschen gegenüber.

Weitere kreative Änderungen

Dass eine tierleidfreie Ernährung ein weiterer Grundpfeiler meiner zahlreichen Geschichten ist, habe ich bereits angesprochen. So war für mich nicht nur klar, dass - im Gegensatz zu anderen Film - und Buchversionen - auf dem Ball kein gemästetes Schwein oder Hühner, sondern Obst und tierleidfreie Backwaren angeboten werden. Catty legte ich übrigens nicht als Vegetarierin oder Veganerin, sondern als Fruganerin an - eine Neuheit in meinen Geschichten. Dies wird in mehreren Essensszenen deutlich, da sie sich nur von Obst, Gemüse und daraus produzierten Säften ernährt.

Fast noch wichtiger als die Ernährung war die Frage nach dem Fortbewegungsmittel, als die gute Fee einen Kürbis in eine Kutsche verwandelt. In allen Versionen, die mir in den letzten dreißig Jahren begegneten, wurde sie stets von Pferden gezogen. Das Reiten bzw. der Einsatz als Lasttier wird heutzutage glücklicherweise von immer mehr Menschen als Tierquälerei angesehen. Als vegan lebender Autor war es für mich daher eine weitere Selbstverständlichkeit, dass die Fee keine anderen Lebewesen in Pferde verwandelt und sich der tierliebe Ellio auch nicht von diesen zum Ball bringen lässt, sondern eine anderweitige Lösung hermusste. Weil es sich bei der Kutsche ohnehin um einen verzauberten Kürbis handelt, entschied ich mich dazu, ihn zu einem selbstfahrenden Kürbis zu machen - was in Zeiten von selbstfahrenden Fahrzeugen gar nicht mehr so unrealistisch erscheint.

Für den Schluss orientierte ich mich an vielen meiner zuvor veröffentlichten Geschichten. Ich wollte keine schwache Hauptfigur, sondern einen unterdrückten Jugendlichen, der mit der Hilfe eines Wunders (der Fee) und dem Prinzen seine eigene, ihm innewohnende Kraft entdeckt. Während in anderen Versionen das bösartige Verhalten der Stieffamilie einfach ignoriert wird, wollte ich auch hier einen anderen Weg einschlagen, wofür ich eine Konfrontation wählte. So erhebt Catty gegen Ende nicht nur ihre Stimme gegen den Gesandten und den Königssohn, sondern auch Ellio gegen sie, der Prinz Hope über ihre Gemeinheiten und die ihrer Söhne aufklärt. Ebenso lasse ich ihn von der Fee berichten - ein weiteres Thema, das in anderen Werken nicht angesprochen wird. Damit gebe ich dann Catty auch noch etwas Futter, womit sie gegen ihn schießen kann und zeige zeitgleich mit einem verständnisvollen, mitfühlenden und glaubenden Prinzen, dass auf Ellio eine gute Zukunft wartet...

Wenn Du noch mehr über mein queeres Märchen wissen und erfahren möchtest, wie ich den bekannten Stoff neu interpretiere, so kannst Du Dich in Cinderellio in eine Traumwelt begeben, die zwar ohne Homophobie und Tierquälerei, dafür aber mit der ein oder anderen Intrige aufwartet. Cinderellio ist in diversen Shops für 2,99€ erhältlich.

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